Wohnen mit Hartz IV bzw. Grundsicherung

Verdrängt und abgeschoben – Situation auf dem Wohnungsmarkt“

(Veranstaltungsreihe von Teilhabe e.V. am 25.4./9.5. und 23.5.2014)

„Die Berliner Situation aus Sicht der Betroffenen“ (9.5.14)

 

Wohnen mit Hartz IV bzw. Grundsicherung

Ich bin hier in der Eigenschaft als Betroffene. Ich bin aber auch Aktivistin. Deshalb möchte ich meine Schilderung im Jahr 1999 beginnen, damals war ich in einer Erwerbsloseninitiative in Berlin-Friedrichshain aktiv. In dem Jahr wurde das Programm Soziale Stadt aufgelegt und am Boxhagener Platz, wo unser Treffpunkt war, begann im Juni 1999 ein Quartiersmanagement seine Arbeit. Die Quartiersmanager wollten damals „vor allem zuerst mit den Menschen, die hier wohnen und arbeiten, reden, ihre Probleme erfahren, Ideen sammeln und mit ihnen nach Lösungen suchen“. Dafür erhielten sie allein bis Dezember 1999 270.000 DM für Personal-, Miet- und Bürokosten, für die eigentliche Arbeit blieben lächerliche 30.000 DM übrig. Mit dieser Summe sollten sie u.a. „die vorhandenen Initiativen stärken“ und „Beschäftigungs- und Arbeitsmöglichkeiten im Kiez verbessern“. Auf einer Armutskonferenz unserer Erwerbsloseninitiative Hängematten wurde damals schon vor allem seit 1997 ein Bevölkerungsaustausch von 20 bis 30% festgestellt. Die Politiker beklagten vor allem den Wegzug von Familien mit Kindern. 1998 lag das Haushaltsnettoeinkommen in Friedrichshain 30% unter dem des Ost-Berliner Durchschnitts bei gleichzeitigen Mietsteigerungen. Die weitere Entwicklung der Gegend um den Boxhagener Platz mit der Simon-Dach-Straße ist bekannt. 2005 brauchte es kein Quartiersmanagement mehr, nun hatten sie die „soziale Durchmischung“ oder besser die Verdrängung der Armutsbevölkerung erreicht.

Ich habe schon zu DDR-Zeiten in Berlin-Friedrichshain gewohnt. Dort hatte ich Mitte der 80er Jahre eine leerstehende Wohnung still besetzt und später legalisiert. Die Miete betrug 32 DDR-Mark, mittlerweile bin ich bald bei 800 DM bzw. 400 Euro angekommen. Verdrängt haben weder die stillen Wohnungsbesetzer in Ostberlin zu DDR-Zeiten, noch die Hausbesetzer Anfang der 80er in Westberlin und Anfang der 90er Jahre in Ostberlin irgendjemanden. Sie haben eher Wohnraum vor dem weiteren Verfall oder Abriss gerettet.

Das Problem ist heute ein anderes. Berlin ereilt nach seinem Sonderstatus als Mauerstadt das Schicksal von Großstädten wie New York, Paris oder London, die vollkommen überteuert die Armut verdrängen und unsichtbar machen möchten. Die Ostberliner Innenstadt, also Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain, wurde weitestgehend aufgeräumt, aber es gibt noch Nischen und Freiräume, wie die Umzugskette der linken Kulturkneipe Baiz bewies. Die Gentrifizierungswelle rollt durch die Stadt, und vor allem die Armutsbevölkerung wird vor ihr hergetrieben. Sie sind die Ersten, die weichen müssen.

1999 verzog ich mit meinem Kind von Friedrichshain nach Neukölln in den Reuterkiez nahe Kreuzberg, später wurde dieses Gebiet „Kreuzkölln“ genannt. Im Laufe der Jahre bemerkte ich eine Veränderung des Kiezes. 2009 zog ich dann aufgrund eines Zwangsumzugs in den Schillerkiez. Auch hier beobachte ich ähnliche Entwicklungen wie im Reuterkiez, die da sind:

Erstens: Es ziehen zunehmend die Pioniere der Gentfrifizierung in den Kiez, nämlich Studenten und Kreative.

Zweitens: Die kulturelle Infrastruktur verändert sich, es entstehen Cafes, Modeboutiquen, Ateliers usw.

Drittens: Im Haus verändert sich die Mieterstruktur, es ist ein vermehrter Mieterwechsel der zumeist jungen MieterInnen zu verzeichnen.

Viertens: Die Preise bei Neuvermietungen im Kiez steigen rasant. Also ist es attraktiv, alte Mieter loszuwerden.

Zur Zeit wohne ich bei einer Wohnungsbaugesellschaft und hoffe noch lange. Wie kam es aber 2009 zu dem Zwangsumzug?

Im Reuterkiez hatte ich einen privaten Vermieter. Das Drama begann mit einem Eigentümerwechsel, die Immobiliengesellschaft saß in Frankfurt am Main. Plötzlich machte meine Betriebskostennachzahlung das Dreifache der bisherigen Nachzahlung aus. Schon bei den letzten Nachzahlungen musste ich vor das Sozialgericht ziehen. Zu allem Unglück wurde meine Miete jetzt aufgrund dieser Betriebskosten auf 500 Euro für eine unsanierte 50 m²-Wohnung in Neukölln erhöht. Schon als mein volljähriges Kind ausgezogen war, lag ich etwas über den „angemessenen“ Mietkosten. Und um mich weiter zu zermürben, schickte mir die Wohnungsverwaltung Schuldeneintreiber vor die Tür. „Delpro“, so hieß diese Firma, schickte mir Leute, mal hatten sie eher mafiösen, mal eher sozialarbeiterischen Charakter. Zunächst wehrte ich mich noch rechtlich, dann fand ich zum Glück eine neue Wohnung.

Was bleibt ist die Angst. Damals hatte ich Angst vor Obdachlosigkeit. Heute habe ich Angst vor Mieterhöhungen und Betriebskostenabrechnungen. Die Angst, das sind die psychosozialen Folgen eines Zwangsumzuges. Es zerrt an den Nerven. Die Bedrohung des Daches über dem Kopf ist eine existentielle Bedrohung, die auch psychische Folgen haben kann.

Die meisten Hartz IV- BezieherInnen bezahlen die „unangemessenen“ Mietkosten selbst und sparen bei anderen Dingen. Jeder vierte Neuköllner ist verschuldet, mit Schufa-Eintrag ist es schwer, eine Wohnung zu finden. Und oftmals bedeutet ein Zwangsumzug eine Wohnungsverschlechterung bezüglich des Standards der Wohnung oder der Wohngegend. Wie gesagt, ich hatte Glück. Seitdem ich die Grundsicherung beantragt habe, weiß mein Vermieter, dass ich diese beziehe. Ich musste nämlich eine Bescheinigung des Vermieters dem Sozialamt vorlegen. Laut WAV (Wohnungsaufwendungenverordnung) wird mit dieser Bescheinigung die Angemessenheit der Unterkunftskosten überprüft. Sie wollen wissen: die beheizte Wohngebäudefläche, Heizenergieträger, Warmwasserversorgung, Nettokaltmiete, Kalte Betriebskosten, Heizkosten, Sonstiges, Gesamtmiete. Unten soll der Vermieter die Richtigkeit der Angaben bestätigen.

Dass man wegen Krankheit oder Alter Grundsicherung bezieht, interessiert die Behörden nicht. Funktionieren muss man im Kapitalismus immer, sonst droht die Obdachlosigkeit oder Mittellosigkeit. Man hat zwar seine Ruhe, aber der Staat lässt einen auch beim Grundsicherungsbezug spüren, was er von der Armutsbevölkerung hält. Im Sozialamt Neukölln erwartet einen ein kleines, muffiges Wartezimmer, meistens überfüllt, so dass Leute draußen warten müssen. Zur Antragstellung wollen sie: einen Antrag auf Grundsicherung, die letzten Kontoauszüge (das kann für ein Jahr sein), eine Bescheinigung vom Vermieter, Auskunft über die Eltern, Kinder oder den geschiedenen Ehemann. Einwohnermeldebestätigung, Einkommens- und Vermögenserklärung, Bescheinigung der Krankenkasse usw. – die Bürokratie kann einen erschlagen. Die Zuverdienst- und Vermögensmöglichkeiten sind lächerlich. Wer arm ist, soll das gefälligst auch bleiben. Was das für die Wohnungssuche bedeutet, brauche ich wohl nicht weiter auszuführen.

 

AutorInnen