„Verdrängt und abgeschoben – Situation auf dem Wohnungsmarkt“
„Die Entwicklung der Wohnungs-/Obdachlosenhilfe in Berlin“
Vorbemerkung:
Eingeladen war Dagmar von Lucke, Sprecherin der Fachgruppe Wohnungslose Menschen der Landesarmutskonferenz Berlin, die aber kurzfristig erkrankte und absagen musste. Sie verwies auf das Positionspapier ihrer Organisation „Das geschützte Marktsegment muss gestärkt werden!“ von September 2013. Um nicht auf den angekündigten Aspekt der Wohnungs- bzw. Obdachlosenhilfe auf dem Podium zu verzichten, vermittelte Joachim Maiworm von der Vorbereitungsgruppe ersatzweise einige Informationen zu folgenden Punkten:
1. Rechtlicher Anspruch auf Unterbringung
2. Statistische Angaben zur Wohnungslosigkeit in Deutschland bzw. Berlin
3. Das „Geschützte Marktsegment“
1. Ausgrenzung wohnungsloser Menschen mit Tradition
Nach § 361 des Reichsstrafgesetzbuchs von 1871 konnte u.a. „Landstreicherei“ mit bis zu sechs Wochen Haft bestraft werden. Diese Rechtsgrundlage wurde in der Zeit des Nationalsozialismus erheblich verschärft (Einweisung in Arbeitshäuser und KZ). Die ursprüngliche Regelung blieb in der Bundesrepublik bis zum Ende der sechziger Jahre unverändert in Kraft. In der DDR wurden „Arbeitsscheue“, zu denen auch Wohnungslose gehörten, mit bis zu zwei Jahren Haft, im Rückfall auch bis zu fünf Jahren bestraft (strafbare „Asozialität“ nach § 249 StGB der DDR).
2. Rechtlicher Anspruch auf Unterbringung [1]
Heute darf niemand mehr wegen Wohnungslosigkeit kriminalisiert werden (die Ausgrenzungsmechanismen setzen sich subtiler fort). Die rechtlichen Ansprüche wohnungs- und obdachloser Menschen basieren auf Menschen- bzw. Grundrechten sowie dem Ordnungs- und dem Sozialrecht.
Menschenrechte:
Die Artikel 22 und 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte führen das „Recht auf soziale Sicherheit“ und die „Würde und die freie Entwicklung der Persönlichkeit“ an, Artikel 25 das Recht auf einen Lebensstandard, der „Gesundheit“, „Nahrung“, „Kleidung“, „Wohnung“, „ärztliche Versorgung“ und „notwendige soziale Leistungen“ gewährleisten soll.
Grundrechte nach dem Grundgesetz:
Weder aus Art. 1 Abs. 1 GG („Die Würde des Menschen ist unantastbar“), noch aus Art. 2 Abs. 2 GG („Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“) und Art. 20 und 28 GG (Sozialstaatsgebot) ergeben sich ein direkter Rechtsanspruch auf eine menschenwürdige Wohnung. Obdachlosigkeit gefährdet aber diese Grundrechte und damit die „öffentliche Sicherheit“. Die kommunalen Behörden sind deshalb nach den jeweiligen Polizei- und Ordnungsgesetzen zur Abwehr dieser Gefahren für die öffentliche Sicherheit verpflichtet.
Landesverfassung von Berlin:
Nach Artikel 28 der Berliner Verfassung hat jeder Mensch „das Recht auf angemessenen Wohnraum. Das Land fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, sowie die Bildung von Wohnungseigentum.“
Die Webseite des Berliner Senats verrät, dass die Verfassung von Berlin „die verbindliche Leitlinie für die Politik im Land Berlin“ ist. Juristen deuten dieses Recht auf Wohnen allerdings nur als so genannten Programmsatz, dessen Verwirklichung lediglich angestrebt werden soll. Dazu ein Redakteur des SPIEGEL – bereits 1981, zur Hochzeit des Berliner Häuserkampfs (Hausbesetzungen):
„Bestehende Realität entgegen geltender Verfassung – das nennt man sonst selbstverständlich verfassungswidrige Realität, Verfassungsbruch, weil schließlich die Verfassung maßgebend und die Realität danach zu richten ist. Hier dagegen soll auf einmal die Verfassung nur nach Maßgabe der Wirklichkeit gelten und entsprechend ‚korrigiert’ werden.
Damit diese Diskrepanz nicht so auffällt und sogar verfassungsrechtlich abgesichert erscheint, kommen Juristen auf ihre Weise deutend zu Hilfe und machen aus dem unzweideutig bestimmten Grundrecht und Verfassungsanspruch einen bloßen ‚Programmsatz’; ‚berichtigende Auslegung’ nennen sie das. Damit ist der Staat nur noch ganz allgemein auf das Programm festgelegt, ‚nach Möglichkeit’ dafür zu sorgen, daß jedermann eine Wohnung hat. Nach Möglichkeit – das bringt Verfassung und Wirklichkeit einfach in Einklang.“ [2]
Ordnungsrecht:
Nach dem Ordnungsrecht der Länder sind die Kommunen gesetzlich verpflichtet, unfreiwillig Wohnungslose unterzubringen. Dazu gehören auch Menschen, die vom Verlust der bisherigen Unterkunft bedroht sind oder eine menschenunwürdige Unterkunft bewohnen.
In Berlin liegt nach dem Allgemeinen Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG) die Zuständigkeit für Ordnungsaufgaben bei Wohnungslosigkeit bei den Bezirksämtern. Hier darf offiziell keine wohnungslos gewordene Person mit dem Hinweis auf fehlende Unterkünfte abgewiesen werden. „Im Zweifelsfall muss beispielsweise ein Hotelzimmer finanziert, ein freies Bett in einem Seniorenheim angeboten oder in Katastrophenfällen eine Turnhalle mit Feldbetten zur Verfügung gestellt werden – und zwar noch am Tag der Vorsprache.“ [3]
Ein unfreiwilliger, schutzloser Aufenthalt ohne Unterkunft wird in der Regel staatlicherseits als eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (weniger der öffentlichen Ordnung) gewertet.
Nach diesem Verständnis muss der Staat gefahrenabwehrrechtlich, d.h. polizei- bzw. ordnungsrechtlich gegen die Bedrohung der öffentlichen Sicherheit vorgehen. Damit ist auch der Schutz von Grundrechten wie z.B. der Menschenwürde oder der körperlichen Unversehrtheit der Betroffenen gemeint.
Wenn ein Mensch gegen seinen Willen im Freien lebt, muss ihm die Polizei- und Ordnungsbehörde also eine vorübergehende Unterkunft mindestens einfacher Art zur Verfügung stellen. Das Sicherheitsrecht als Eingriffsrecht ist allerdings nachrangig gegenüber Selbsthilfemöglichkeiten, sozialrechtlichen Ansprüchen oder sonstigen Hilfen Dritter. Die Betroffenen müssen also zunächst alle tatsächlichen Möglichkeiten zur Beseitigung der aktuellen Obdachlosigkeit nutzen. Wenn sie dies nicht tun, werden sie nicht als Obdachlose angesehen, die gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen auslösen.
Welche Maßnahmen und ob überhaupt Maßnahmen zur Beseitigung der Obdachlosigkeit getroffen werden, entscheiden die Polizei- und Ordnungsbehörden „nach pflichtgemäßem Ermessen“.
„Wegen des hohen Rangs der durch die Obdachlosigkeit gefährdeten Rechtsgüter reduziert sich jedoch das in den Polizeigesetzen eingeräumte Ermessen ‚auf Null’, d.h., der in seinen Rechten gefährdete Obdachlose hat einen Anspruch auf Einschreiten, also einen Anspruch auf Unterbringung. Dieser Anspruch ist zeitlich nicht begrenzt, obwohl dies in der Praxis (z.B. zwei bis drei Tage) immer wieder zu beobachten ist.
Auch die in der Praxis weit verbreitete Meinung, dass die Sicherheitsbehörden nur bei Vorliegen einer akuten Krisensituation (z.B. plötzlicher Kälteeinbruch) verpflichtet wären unterzubringen, trifft nicht zu, da (...) neben dem Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit noch weitere Grundrechte unmittelbar gefährdet sind. Deshalb ist die weitverbreitete Verwaltungspraxis, die Unterbringung nur auf die Nachtstunden zu beschränken, letztlich rechtswidrig.“ [4]
Bei der polizeirechtlichen Unterkunftsbeschaffung handelt es sich nicht um eine wohnungsmäßigen Versorgung. Die Beschaffenheit einer Obdachlosenunterkunft wird nicht allgemein verbindlich definiert, sie muss aber „menschenwürdig“ sein. Eine Notunterkunft muss keineswegs die an eine Normalwohnung zu stellenden Anforderungen bezüglich Lage, Größe, Einrichtung und sonstiger Verhältnisse erfüllen.
Sozialrecht:
Neben der Garantie einer existenzsichernden Unterkunft besteht ein gesetzlicher Anspruch auf eine sozialarbeiterische Unterstützung. Das SGB XII enthält in den §§ 67-69 Hilfeleistungen für Menschen, deren Lebensverhältnisse von „besonderen sozialen Schwierigkeiten“ geprägt sind. Es muss sich um gravierende soziale Schwierigkeiten handeln. Wohnungslosigkeit und Wohnungsnot gehören dazu.
Nach § 68 SGB XII umfassen die Leistungen „alle Maßnahmen, die notwendig sind, um Schwierigkeiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mildern (...), insbesondere Beratung, persönliche Betreuung (...) sowie Maßnahmen bei der Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung“.
Hilfen kommen nur in Betracht, wenn die Leistungsberechtigten nicht fähig sind, ihre Probleme ohne fremde Hilfe zu beheben. Die vorgesehenen Hilfen zur Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung können zwar auch als Geldleistungen erbracht werden, die Bestimmungen zielen aber in erster Linie auf sozialarbeiterische Unterstützung ab (Information, Beratung, Begleitung). Es geht also nicht darum, die Kosten für die Anmietung einer Wohnung zu übernehmen. Hier treffen §§ 27ff. (Hilfe zum Lebensunterhalt) bzw. § 42 SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) zu.
Dauerleistungen sind grundsätzlich nicht vorgesehen, vielmehr es geht um die Überwindung akuter sozialer Schwierigkeiten. Die Hilfen sollen zeitlich beschränkt sein.
3. Statistische Angaben zur Wohnungslosigkeit in Deutschland bzw. Berlin [5]
Wohnungslosenstatistik:
Es existieren keine offiziellen Wohnungslosenstatistiken in Deutschland. Nach wie vor fehlen dafür die gesetzlichen Grundlagen. Nach Aussagen der Bundesregierung und des Senats von Berlin stehen der statistischen Erfassung ein angeblicher erheblicher finanzieller und bürokratischer Aufwand entgegen. Parlamentarische Initiativen für eine entsprechende Datenerfassung liefen bislang ins Leere (z.B. ein Antrag der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke vom 17.4.2013; von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus vom 5.12.2012; Nordrhein-Westfalen ist bislang das einzige Bundesland mit einer solchen Wohnungsnotfallstatistik.). Deshalb sind nur Schätzungen möglich. Daten über die Obdach- bzw. Wohnungslosigkeit werden an verschiedenen Stellen (Bezirke, Hilfeeinrichtungen etc.) gesammelt und müssen von den sozialpolitischen Akteuren erst zusammengeführt werden.
Definitionen:
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W), Dachverband der Wohnungslosenhilfe, beschloss folgende Sprachregelung:
Wohnungsnotfälle sind Personen, die wohnungslos, von Wohnungslosigkeit bedroht sind oder in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben. Wohnungslos ist, wer nicht über einen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum (oder Wohneigentum) verfügt.
Wohnungsnot in Deutschland:
Für das Jahr 2012 stellt der BAG W einen drastischen Anstieg der Wohnungslosigkeit in Deutschland fest. 284.000 Menschen waren in Deutschland ohne Wohnung (2008: 223.000; 2010: 248.000; Anstieg um etwa 15% von 2010 bis 2012). Bis 2016 wird ein weiterer Anstieg um etwa 33% auf 380.000 prognostiziert.
Weitere etwa 130.000 Menschen waren unmittelbar vom Verlust ihrer Wohnung bedroht. 2012 gab es demnach etwa 414.000 Wohnungsnotfälle (2008: 354.000).
Wohnungsnot in Berlin:
Nach einer Mitteilung des Paritätischen Berlin vom 10.4.2014 waren Ende 2012 insgesamt 11.046 Menschen in Berlin behördlich als wohnungslos registriert. Mehr als die Hälfte von ihnen, 5.926, lebten in einer Obdachlosenunterkunft. Die Zahlen stiegen bis 2014 offensichtlich weiter an. Die tatsächliche Anzahl wohnungsloser Menschen in Berlin liegt wegen der „verdeckten Wohnungslosigkeit“ aber um einiges höher, da viele Personen nicht erfasst werden (sie leben z.B. bei Freunden, Bekannten usw.). [6]
Straßenobdachlosigkeit:
Die Anzahl der auf der Straße lebenden Menschen stieg von etwa 22.000 in 2010 auf etwa 24.000 in 2012 (+9%). Etwa elf Prozent sind minderjährig, der Frauenanteil unter den Erwachsenen beträgt etwa 25%. [7]
In Berlin wird von bis zu 1.300 Menschen ausgegangen (vgl. taz, 3.1.2014).
Zwangsräumungen:
In 2012 fanden im Vergleich zu 2008 bundesweit etwa 25.000 (+38%) Zwangsräumungen und etwa 40.000 (+62%) „kalte“ Wohnungsverluste statt. Bei Letzteren räumen die Mieter die Wohnung ohne Räumungsverfahren oder vor der Zwangsräumung. Dies tritt vor allem bei alleinstehenden Mietern auf.
Familienverhältnisse:
Etwa 178.000 (64%) der wohnungslosen Personen sind alleinstehend, 106.000 (36%) leben mit Partner und/oder Kindern. Als Ursachen für die steigende Zahl der Wohnungslosen führt die BAG W hauptsächlich folgende Gründe an: unzureichendes Angebot an preiswertem Wohnraum, Verarmung der unteren Einkommensgruppen, Fehlentscheidungen bei Hartz IV (Sanktionierung auch bei den Kosten der Unterkunft von jungen Erwachsenen, unzureichende Anhebung des Regelsatzes, Zurückfahren der Arbeitsförderungsmaßnahmen).
4. Das „Geschützte Marktsegment“
Das wohnungspolitische Instrument „Geschütztes Marktsegment“ (GM) besteht seit 1993 und soll Menschen in prekären Lebensverhältnissen erleichtern, einen Zugang zum Wohnungsmarkt zu finden. Zur Zielgruppe gehören Personen, die z.B. wegen Mietschulden kurz vor der Räumung ihrer Wohnung stehen bzw. bereits wohnungslos sind und sich auf dem freien Wohnungsmarkt nicht selbst mit einer Wohnung versorgen können.
Der zwischenzeitlich modifizierte Kooperationsvertrag GM wurde zwischen dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo: eine Unterbehörde des Berliner Senats), den Bezirksämtern und den städtischen Wohnungsbaugesellschaften geschlossen. Der Vertrag verpflichtet die Wohnungsunternehmen jährlich 1.376 Wohnungen zur Verfügung zu stellen. In den Bezirksämtern wurden Fachstellen eingerichtet, die Betroffene beraten und ihnen ggf. eine Wohnung vermitteln sollen. In das GM können nur Personen aufgenommen werden, bei denen bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Es muss sich um Menschen handeln, die bei der Suche nach Wohnraum auf Hilfe angewiesen sind, denen Wohnungslosigkeit droht, weil sie aus ambulanten, stationären oder betreuten Einrichtungen oder aus der Haft entlassen werden. Die Personen müssen zudem zu einer eigenständigen Lebens- und Haushaltsführung im Stande sein (positive „sozialpädagogische Prognose“).
Die wichtigsten Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1. Das GM hat die offiziellen Ziele in quantitativer Hinsicht in keiner Weise erreicht. Die Wohnungsunternehmen sind zu jedem Zeitpunkt der Vertragsdauer weit hinter ihren Verpflichtungen zurückgeblieben. Die vereinbarten Zahlen sind nie erfüllt worden.
Als Beleg dienen die Erfüllungsquoten, die das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin bekannt gab. [8]
2012: 1.376 vereinbarte Erfüllungsquote; vermittelte Wohnungen 1.043 (-333, -24%)
2010: 1.376 vereinbarte Erfüllungsquote; vermittelte Wohnungen 1.062
2009: 1.378 vereinbarte Erfüllungsquote; vermittelte Wohnungen 1.195
2002: 1.350 vereinbarte Erfüllungsquote; vermittelte Wohnungen 676 (Tiefpunkt)
Auch für das Jahr 2013 wird eine berlinweite Nichterfüllungsquote von 25% (Stichtag 23.10.2013) festgestellt. [9]
2. Das Kontingent wurde nicht nur nie erfüllt, es wurde auch zu niedrig angesetzt. Der Förderverein der Wohnungslosenhilfe in Berlin e.V. (der BAG W) fordert zum Beispiel eine Erhöhung des jährlichen Wohnungskontingents auf 3.000 Wohnungen.
3. Die kommunalen Wohnungsbaugenossenschaften bieten nur „schwer vermietbare“ Wohnungen (Einfachstandard) an. In der Regel in unattraktiven Lagen (Außenbezirke: Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Spandau, Reinickendorf), im Parterre, in dunklen Hinterhäusern, in nichtsanierten Objekten.
Wohnungswirtschaft und Senat liefern zudem eine zynische Begründung dafür, warum in den Außenbezirken nicht noch mehr bzw. nicht alle frei werdenden Wohnungen für besonders Bedürftige angeboten werden: Die dort notwendige „soziale Durchmischung der Mieterstrukturen“ sei zu gewährleisten. [10]
4. Der Kooperationsvertrag stellt lediglich eine Selbstverpflichtung der Wohnungsbaugesellschaften dar, die keine Sanktionsmöglichkeiten bietet. Verbindliche Auflagen durch den Senat sind nicht geplant.
5. Der Kooperationsvertrag sieht vor, dass die Wohnungsunternehmen der Zentralen Koordinationsstelle des LaGeSo (ZeKo) freie oder freiwerdende Wohnungen anbieten, die sie wiederum den Bezirken melden, die anschließend Berechtigte benennen. Faktisch aber suchen die Interessenten auch selbst, wenden sich direkt an Wohnungsunternehmen und zeigen dort den Nachweis der Marktsegmentberechtigung vor („M-Schein“). Ein Besucher der Veranstaltung wies in der Diskussion darauf hin, dass die Wartezeit in seinem Fall zwei Jahre betrug (!) und das Bezirksamt ihn zu einer Wohnungsbaugesellschaft schickte, die ihn jedoch wieder an das Bezirksamt zurückverwies.
Fazit:
Sowohl diese im Rahmen der Veranstaltung beschriebene persönliche Erfahrung eines von Wohnungsnot Betroffenen wie auch die quantitativen und qualitativen Resultate des wohnungspolitischen Instruments GM belegen, dass in Berlin gegen Wohnungslose bzw. von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen eine Politik mit ausgeprägtem Zynismus betrieben wird. Der bestimmende Charakter der herrschenden Politik besteht u.a. darin, dass der Staat Gesetze, Verordnungen und Kooperationsverträge erlässt bzw. abschließt, die nicht umgesetzt werden (sollen). Zum einen fehlt häufig die finanzielle Unterfütterung der rechtlichen Maßnahmen, um eine wirksame Kontrolle ihrer korrekten Umsetzung zu gewährleisten, zum anderen wird eine Sanktionierung vertragsbrüchiger Akteure von vornherein ausgeschlossen. Das „Geschützte Marktsegment“ scheint deshalb das Papier nicht wert zu sein, auf dem es beschrieben und vereinbart worden ist.
Anmerkungen:
[1] vgl. http://www.evangelische-obdachlosenhilfe.de/index.php/recht.html
[2] Johann Wilhelm Gerlach, Recht auf Wohnraum und Hausbesetzung, in: Der SPIEGEL 19/1981; http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14332092.html)
[3] Susanne Gerull, „Wohnungslosigkeit in Deutschland“, in: ApuZ: Aus Politik und Zeitgeschichte, 20-21/2014, S. 34.
[4] Willi Kronberger (Koordinator für Wohnungslosenhilfe in Nordbayern): „Problemfeld Wohnen: Unterkunft im Polizei- und Ordnungsrecht“, 2000.
http://www.evangelische-obdachlosenhilfe.de/index.php/recht.html
[5] alle Daten (wenn nicht anders angegeben) vgl. BAG W., „Aufruf zu einer Nationalen Strategie zur Überwindung von Wohnungsnot und Armut in Deutschland“, Berlin, 2014 http://www.bagw.de/de/presse/index~97.html und „Zahl der Wohnungslosen in Deutschland weiter gestiegen“, Pressemitteilung der BAG W vom 1.8.2013
http://www.bagw.de/de/themen/zahl_der_wohnungslosen/index.html
[7] Es kann davon ausgegangen werden, dass neben dem fehlenden Hilfeangebot auch eine besonders stark ausgeprägte Scham von Frauen, sich wohnungslos zu melden, ein Grund für den geringen Anteil von Frauen an der geschätzten Zahl von Wohnungslosen ist. (vgl. Susanne Gerull, S. 32 (s. Anm. 3).
[9] Auskunft des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg auf Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen, 24.10.2013 (Drucksache DS/0910/IV)
[10] Michael Büge (Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales) auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Lompscher (LINKE) vom 14. Februar 2012;
http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/KlAnfr/ka17-10210.pdf