Selbstermächtigung im Betrieb
Zum Begriff des Betriebes : in den 70er Jahren wurde der Begriff „ Betrieb „ vor allem für die Großbetriebe im Bereich der industriellen Fertigung verwendet ( Auto-, Stahl- Maschinenbau - betriebe). In diesen Betrieben gab es in der Zeit nach 68 eine Reihe von aktiven oppositionellen Betriebsgruppen und Individuen, die die gemeinsame Orientierung verband: die Selbsttätigkeit der Beschäftigten in den Streiks und in anderen Aktionsformen zu fördern, sie aus der Klammer der institutionellen gewerkschaftlichen Ordnungsmacht im Betrieb zu befreien, das autonome Handeln der Belegschaften zu fördern.
Und es gab auch sichtbare Erfolge: Angefangen mit den Septemberstreiks 69 in den Stahlbetrieben bei Hoesch, mit spontanen Streikversammlungen, auf denen Festgeldforderungen – 1 Mark mehr pro Stunde- verabschiedet wurden, die vollkommen quer lagen zu den üblichen linearen Forderungen der gewerkschaftlichen Tarifkommissionen - 4 % - . Dies setzte sich fort bis zum Höhepunkt im Jahre 73, in denen wilde Streiks und spontane Basisversammlungen und andere Aktionen sich ausbreiteten. Der sichtbarste Ausdruck dieser Bewegung war der wilde Streik der überwiegend migrantischen ArbeiterInnen bei Ford in Köln und bei Pierburg in Neuss. Dieser Prozess der Selbstermächtigung von Teilen der Belegschaften veränderte die soziale und die gewerkschaftliche Landschaft in der BRD. Auch in anderen Ländern kam es zu ähnlichen Streik- und Besetzungsbewegungen, die alle von den Belegschaften selbst organisiert wurden und ganz neue fantasievolle Prozesse in Gang brachten. Der Film über die Besetzung der Uhrenfabrik „ Lip „ in Frankreich mit dem Titel „ die Fantasie an die Macht“ ist sichtbarer Ausdruck dieses Selbstermächtigungsprozesses, der die handelnden Individuen verändert und eine neue Kollektivität schafft. In dem Roman „ Anders leben „ von Monique Piton kann das sehr anschaulich nachgelesen werden.
In den folgenden Jahren gingen diese Bewegungen zurück, dennoch kam es immer wieder zu sozialen Ausbrüchen und zu autonomen Aktionen, in denen sich die Akteurinnen ihre eigenen, nicht institutionellen Formen schufen.
Gutes Beispiel sind der 6 Tage-Streik bei Opel in Bochum von 2004.
Nach dem Bekanntwerden der Schließungsabsicht des Opel – Betriebs in Bochum gab es spontane Aufrufe und Märsche durch die Abteilungen, die Belegschaft handelte ohne vorher sich die Erlaubnis bei den Verantwortlichen in der Gewerkschaft und im Betriebsrat einzuholen.
Das NCI-Netzwerk bei Siemens in München, entstanden auf der Grundlage einer Rundmail an alle gekündigten KollegInnen mit der Frage : Wie geht es Euch ? Diese Frage führte zu einer für alle AkteurInnen vorher nicht denkbaren sozialen Dynamik. Die Situation jedes vorher sehr vereinzelten Kollegen wurde bekannt, die Kündigungsprozesse wurden zu öffentlichen Tribunalen . Diesen ganzen Prozess hat eine der Basis- und Netzwerk-Akteurinnen in einem Roman niedergeschrieben : der Widerspruch des Gerry Gollmann und anderer, die den Mut fanden und nicht aufzugeben - .
Dieser Roman zeigt in seiner konkreten Beschreibung diesen Transformationsprozess von abhängig Beschäftigten zu selbstermächtigt und selbsttätig handelnden Individuen.
Eine andere Form von Ausbrechen aus der alltäglichen Zwangssituation ist die Geschichte der Brigitte Heinisch, die als Altenpflegerin nicht mehr die unwürdige Behandlung der Pflegepatienten in ihrem Seniorenheim mittragen wollte. Sie ging an die Öffentlichkeit, wurde fristlos gekündigt und setzte zusammen mit einem Soli-Komitee ihren Kampf fort erfolgreich fort.
Selbstermächtigt im Betrieb bedeutet das Ausbrechen aus der verordneten Abhängigkeit und Anpassung und die Entscheidung zum ungehorsamen Handeln. Nur hat sich heute auch der Begriff des Betriebs verändert . Ein Pflegedienst wird genauso als Betrieb bezeichnet wie die VW-Betriebe in Wolfsburg. Überall bestimmt das Streben nach Rentabilität den Alltag.
Zumeist waren es in den 70er und 80er Jahren Kerne von politisch Aktiven, die durch ihre gewerkschaftliche Betriebspraxis ein Klima und ein Milieu in den Betrieben schufen, das solche ungehorsamen, legitimen, aber nicht legalen
Aktionsbereitschaften förderte. Oftmals gingen auch die aktiven Kerne selbst voran und lösten diese Dynamik des selbsttätigen Handelns aus. Nicht von ungefähr waren Betriebe wie Daimler und Opel zumeist bei grossen Streikbewegungen dabei , weil unter der Belegschaft ein solch ungehorsamer Geist lebendig war. Gleichzeitig gab es aber auch historische Zeitmomente wie die 70er Jahre und auch wie in heutigen Zeiten, wo dieser Geist auch in der Gesellschaft lebendig war und langsam sich wieder bemerkbar macht.
Filme, Dokumentationen, Berichte können viel dazu beitragen, dieses selbstermächtigte Handeln zu fördern, die Angst zu überwinden. Die Emmely-Kampagne im letzten Jahr war ein solch sichtbares Beispiel, was alles möglich ist, wenn individueller Mut und kollektive Organisation zusammenkommen, ohne Rücksicht auf die etablierten Institutionen. Genau dieses autonome Handeln schafft Raum für soziale Fantasie und freies Agieren und macht auch Hoffnung auf radikale Veränderung dieser kapitalistischen Verhältnisse .
Perspektivisch sind die Förderung von Selbstermächtigungsprozessen unter den Lohnabhängigen Voraussetzung und Grundlage für den Übergang zu gesellschaftlichen Produzentinnnen und für die Vorstellung einer Produzentendemokratie, in der alltäglich über das was und wie der Produktion gleichberechtigt von allen Beteiligten entschieden wird.