Peter Nowak
10 Thesen zur kollektive Verweigerung im Jobcenter, im Stadtteil und der Fabrik
- Sich verweigern – ist oft als persönlicher und individueller Akt verstanden worden, Kriegsdienstverweigerung ist das beste Beispiel.
- In der Arbeiter_innenbewegung standen eher kollektive Aktionen, Streiks gelegentlich Betriebsbesetzungen auf der Agenda, Verweigerungen waren eher selten ein Kampfmittel,
- Mit dem Ende der fordistischen Regulationsphase veränderte sich vielerorts die Zusammensetzung der Arbeiter_innenklasse; statt den Arbeiter_innenmassen in Großfabriken haben wir oft Beschäftigte in kleinteiligen Arbeitsverhältnisse; oft ist es schwer, Kontakt mit den Kolleg_innen aufzunehmen, was kollektive Aktionen wie Massenstreiks erschwert; in dieser Situation wird auch die Verweigerung ein Kampfmittel,
- Zudem strukturieren mittlerweile Jobcenter und Arbeitsagenturen das Leben vieler Menschen, ein Brief von dieser Behörde kann Sanktionierung ,Leistungskürzung etc. bedeuten, davon betroffen sind nicht nur Erwerbslose sondern auch Menschen mit Teilzeit- oder Vollzeitjob, die mit ihren Einkommen ihre Reproduktionskosten nicht begleichen können und mit Hartz IV aufstocken müssen.
- Im Jobcenter sind die Menschen zunächst mal eine Nummer bei den Fallmanager_innen. Die Betroffenen stehen Rücken an Rücken und warten- Eine Verweigerung der Zumutungen des Hartz IV setzt dabei zunächst einmal Voraus, dass die Menschen ihre Angst verlieren und sich in der Öffentlichkeit gehen und dort bekunden, dass sie Probleme mit den Jobcenter haben und sanktioniert werden.
- Die Angst wegschmeißen müssen auch Mieter_innen, denen eine Zwangsräumung droht und die sich dagegen wehren wollen. Bisher gehen die meisten Zwangsräumungen geräuschlos über die Bühne, weil die Mieter_innen mehr Angst vor der Stigmatisierung durch Nachbar_innen und Bekannten haben, als vor Justiz und Polizei. Die Angst wegschmeißen müssen auch Lohnabhängige in keinen Arbeitsverhältnissen, die oft auf sich selber gestellt, gegen Arbeitshetze, Niedriglohn etc. zu kämpfen beginnen.
- Die Soziologin Ingrid Artus prägte für die Menschen, die sich unter diesen Umständen den Zumutungen des kapitalistischen Normalzustands im Arbeitsverhältnis, im Jobcenter oder in der Wohnung verweigern, den Begriff von den „Emmelys dieser Welt“. Damit erinnert sie an die Kaiser’s-Kassiererin Emmely, die sich weigerte, ihre Kündigung wegen eines angeblich nicht abgerechneten Pfandbons anzuerkennen und mit einer kleinen Unterstützungsgruppe gemeinsam eine gesellschaftliche Debatte über Verdachtskündigungen auslöste. Schließlich solidarisierten sich sogar Politiker_innen mit ihr.
- Das Beispiel Emmely zeigt ebenso wie Widerstand gegen Zwangsräumungen oder Zahltag in Jobcentern, dass aus der individuellen Verweigerung ein kollektiver Widerstand entsteht. Beispiel. Mehrere Hartz IV-Bezieher_innen machen einen Zahltag im Jobcentern und verlangen die Auszahlung vorenthaltener Gelder: oder eine Mieter_in weigert sich, trotz Räumungsurteil auszuziehen und bekommt Solidarität von Mieter_inneninitiativen und Nachbar_innen. Andere Mieter_innen in ähnlicher Lage bekommen dadurch Mut und organisieren ebenfalls Proteste. Oder in Arbeitsverhältnisse: eine Beschäftigte verweigerte Überstunden und Arbeitshetzte, wird gemaßregelt und aus Solidarität gehen ihre Kolleg_innen in den Bummelstreik,
- Die Kollektivierung der Verweigerung ist auch wichtig, damit Solidarität und eine gesellschaftliche Bewegung entsteht, eine langandauernde individuelle Verweigerung kann für die Betroffenen auch mit schweren physischen und psychischen Beschwerden enden
- Die Verweigerung der Hartz IV-Bezieher_innen kann auch zum Ziel haben, den Druck auf das Jobcenter-Personal aufzubauen, damit die sich weigern, Sanktionen auszusprechen. In Frankreich hat die Arbeitsmitarbeiterin Fabienne Brutus öffentlich erklärt, dass sie sich weigert, Erwerbslose zu sanktionieren. Sie sieht ihren Job als Beratung für Menschen, die an einen Arbeitsangebot interessiert sind, lehnt aber jede Disziplinierung ab. Die Basisgewerkschaft SUD stellte sich hinter Fabienne Brutus und rief seine Mitglieder in Jobcentern auf, ihrem Beispiel zu folgen. Die Verweigerung von Fabienne Brutus führte dazu, dass Erwerbslosengruppen auch in Deutschland eine Fabienne oder einen Fabian suchten, also Jobcenterbeschäftigte, die sich weigern, Sanktionen auszusprechen. Es gab Gesprächskreise mit verdi-. Mitgliedern im Jobcenter aber keine Kampagne. Marcel Kallwass, der an der Universität der Bundesagentur für Arbeit, an der die Führungskräfte dieser Institution ausgebildet werden, studierte, brachte das Thema Kampf gegen die Sanktionen in den Unterricht ein und erklärte, er würde sich weigern, Erwerbslose zu sanktionieren. Dafür wurde er erst abgemahnt und dann aus der Hochschule entlassen. Damit wird deutlich, wie repressiv die Institutionen gegen eine Verweigerung von (angehenden) Beschäftigten vorgehen. Mehr zur Kündigung von Kallsass und den Protesten hier: (https://kritischerkommilitone.wordpress.com/2014/01/28/pressemitteilung-...). Analog zu Fabienne Brutus haben sich in Frankreich auch Elektriker_innen, die in der Gewerkschaft Sud organisiert sind, geweigert, Menschen Strom und Gas abzustellen, wenn sie Rechnungen nicht bezahlen könnten.
Peter Nowak
Der Verfasser ist Journalist und hat die Themen, die in den Thesen anklangen in Zeitungsartikeln bearbeitet, die unter http://peter-nowak-journalist.de/ dokumentiert sind. Er ist Herausgeber der Bücher "Zahltag – Zwang und Widerstand unter Hartz IV", "Zwangsräumung verhindern" und "Ein Streik, steht, wenn mensch ihn selber macht".
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