Anne Allex: Verweigerung

Das Ende der entfremdeten Arbeit erschien möglich, ebenso die produktive Versöhnung von Eros und Politik. Im Juli 1967 war Herbert Marcuse aus San Diego zu einem viertägigen Teach-in an die FU gekommen, um "uns eine Welt zu zeigen, in der Geld, Aufstieg, Disziplin nicht das Wichtigste waren".

Verweigerung und was dann? - Soziale Konsequenzen des Verweigerns Anne Allex leitet die Genese von Gegenwehr und Selbsthilfe aus der Geschichte der Arbeiterbewegung ab und thematisiert sie als persönliches Moment zur Erreichung eigener Ziele.

1) Gegenwehr und Selbsthilfe aus der Geschichte der Arbeiterbewegung

Selbsthilfe mit Gegenwehr zur Erhaltung der Existenz, zum Schutz vor Exmittierungen, zur Hilfe beim Gesundbleiben und solidarisches Leihen sind Erfahrungen aus der Arbeiterbewegung. Sie wurden in eng bebauten Mietskasernen des letzten Jahrhunderts gelebt. Die KPD hat einen Großteil der Beratungs- und Selbsthilfeaktivitäten selbst ausgeführt und ihre Politik aus der sozialen Lage der arbeitenden und nichtarbeitenden Menschen der damaligen Arbeiterklasse abgeleitet. Meine Oma wohnte in mehreren Wohnungen in Moabti und hat mir eine Menge aus dieser Zeit berichtet.Ebensolche Überlieferungen finde ich unter anderem in der Biografie von Lea und Hans Grundig und vielen ehemaligen KommunistInnen und SozialistInnen wieder. Ich selbst habe seit Kindheit von meinen Angehörigen die kameradschaftliche Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe gelernt.Auf zunächst meine Selbsthilfe war ich 11 Monate nach der Maueröffnung. Ich war krank und gekündigt. Den Arbeitgeber gab es nicht mehr. Strukturen von Krankenkassen und Sozialamt gab es noch nicht. Als Einziges stand provisorisch das Arbeitsamt. Da war niemand, den ich fragen konnte. Also musste ich das Sozialhilfegesetz und das Arbeitsfördergetz selbst lesen. Und fand natürlich die Zumutbarkeitsbestimmungen. Ich hatte mir mein Leben immer wie eine lange Entdeckungsreise vorgestellt. Hierzu gehört vor allem die Lust, was zu tun, zu arbeiten und den Dingen auf den Grund zu gehen, unabhängig, ob ich hin und wieder irgendwo anstoße. Angestoßen bin ich in der DDR öfter. Nun plötzlich beim Übergang in ein anderes Land zu sagen: „Ich lasse mich hin- und herschieben.“ Das wollte ich mir nicht vorstellen. Um meine lebenslangen Entdeckungen fortführen zu können, musste ich ganz genau abwägen, was ich tat. Mein Wissen auch andere Leute weiterzugeben, dass war zunächst nicht mein Plan. Aber ich war ja als Lehrerin in der Erwachsenenbildung qualifiziert und konnte das. Noch besser gefiel es mir im Nachhinein, dass ich damit zu bundesweiten Erwerbslosenaktivitäten beitrug.

2) Was heißt für Euch „Verweigerung“? Was sind soziale Konsequenzen?

Verweigerung heißt, nicht alles zu tun, was andere Dir zumuten und von Dir abverlangen. Ganz konkret: Die DDR brach zusammen. Eine mir damals nahestehende Person sagte 1989 zu mir. Deine Bildung als Frau nützt Dir nun nichts. Jetzt musst Du Putzen gehen. Fand ich nicht. Ich habe mich dem verweigert. Ich wollte weiter politische Arbeit machen. Und da fand ich mit den Gewerkschaften und den Erwerbslosen zunächst einen ausreichend weißen Fleck, auf dem ich was machen konnte: analysieren, kritisieren, fordern, auseinandersetzen, durchsetzen. In dieser Zeit habe ich auch festgestellt, dass Mitgliedschaften, demokratische Abstimmungsprozesse, Intrigen, Rumkungeln und Führungspositionen in quadratischen Kästen, wie sie Organisationen für mich darstellen, nicht mein Ding sind. Um entdecken, formulieren, schreiben zu können, brauche in Anreize, Stimuli, Inspiration und – freie Zeit. Unter dem Strich habe ich mich mir selbst nie verweigert, als um so mehr alles unternommen, um die Sachen, die ich kann, beizubehalten und sie in Erwerbsarbeit umzusetzen. Die Gesellschaft hat sich mir verweigert. Kaum Stellenangebote, massenhaft Ablehnungen bei Bewerbungen. Die einzigsten Unterstützungen erfuhr ich den Rehabilitationsaufenthalten. Meine Verweigerung galt eher den Verhältnissen und dem Schlucken von Bedingungen, die ich für mich selbst nicht akzeptieren will und kann. Ich bin nicht der Ansicht, dass es ein Schicksal gibt, sondern dass jede_r sein Leben gestalten kann, wenn sie_er sich die Gesetze und Vorschriften zu eigen macht und sie für sich anwenden lernt. Der schöne Nebeneffekt ist, dass ich dieses Wissen auch anderen Menschen weitergeben kann, und damit meinen Lebensunterhalt finanzieren kann. Das führt nicht dazu, dass keine Freizeit mehr da ist. Sondern mehr dazu, dass andere, die lieber tanzen gehen, meine Freizeitgestaltung – das Schreiben und Lesen – als „Arbeit“ ansehen, und von mir sagen, ich würde nur arbeiten. Das aber Inspiration haben, schreiben können und aus seinem eigenen Geist schöpfen können, auch eine Lust sein kann, das sehen leider wenige so. Meines Erachtens würde ich diesen Selbsterhalt bis jetzt als Erfolg sehen; andere Personen würden das nicht, da meine Einkünfte zu gering sind. Bei denen ist das Geld der Erfolgsmaßstab. Geld mal zu haben, ist ja auch nicht schlecht. Da kann ich Schulden abzahlen, neue Bekleidung, Batterien und vor allem Bücher kaufen und ein Miniurlaub ist auch drin. Andere Personen hätten es sicher als Erfolg gesehen, weiter ohne klaren Lebensplan bei einer Partei oder einem Unternehmen mit superhohem Gehalt beschäftigt zu sein. Da ist Geld da, dass man nicht ausgeben kann, man ist ewig genervt von den ständigen autoritären Ansagen der Vorgesetzten und empfindet das hohe Gehalt eher als ein Schmerzengeld. Verweigerung heißt immer, sich, seine Ideen und Ansichten nicht aufzugeben und sie ständig an der Praxis zu überprüfen. Verweigerung kann deshalb auch immer bedeuten, auf einen guten oder luxuriösen Lebensstil zu verzichten. Verweigerung heißt, andere Prioritäten im Leben zu setzen, sich nich an ungeschriebenen Normen zu orientieren, hohen Konsum nicht wichtig zu finden und die Ansichten anderer über sich selbst ertragen zu können. Die Normverweigerung ist immer auch ein Stück politische Verweigerung. Und die ist ein Stück Kampf gegen die herrschende Ordnung, die Leistung und Konsum predigt. Verweigern heißt deshalb immer, Widerstand gegen die Gesellschaft zu leisten.

3) Gibt es Erfolge oder Mißerfolge? Was sind die Erfolgskriterien? Was ist Scheitern?

Ob ich etwas als Erfolg oder Mißerfolg sehen kann, hängt von dem Ziel ab, was ich allein oder mit anderen verfolge, und davon wie realistisch das Ziel und die Zeitdauer zu seiner Erreichung festgelegt sind. Ich fand es 1994/ 95 völlig überraschend, mit durchgesetzt zu haben, dass Erwerbslose in Personengruppen arbeiten dürfen und auf allen Ebenen der Organisation nach dem Proporz vertreten sein dürfen. Das war sicher ein Erfolg. Das hatte ich nicht unbedingt so eingeschätzt, dass das durchkommen könnte. Im Jahr 2004 fand ich die Forderung „Hartz IV muss weg“ komplett voluntaristisch. Denn die Weichen zu diesen Gesetzen waren seit 1997 gestellt wurden. Und vor allem: Das SGB II war bereits im Bundestag beschlossen. Es konnte daher so spät politisch nicht gelingen kann, solch ein Gesetz aus dem Weg zu bekommen. (Das einzigste Gesetz, was nach Beschluss jemals zurückgenommen worden war, war 1998 die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.) Ich hatte ebenfalls das Anliegen der Kampagne gegen Zwangsumzüge, Leute durch die Telefonberatung zum Straßenkampf zu mobilisieren, immer als völlig neben der Kanne angesehen. Denn die Leute, die solch ein Notruftelefon anrufen, haben ein ganz klares Anliegen – ihre Wohnung zu retten. Und dazu müssen sie eine Menge Zeit aufwenden, die sie dann aktuell eben nicht für den Straßenkampf einsetzen können. Trotzdem habe ich natürlich auf unsere Aktionen hingewiesen. Außerdem hatten die Leute, die dieses Ziel hatten, niemals Zeit, realistische politische Ziele in die Richtung zu formulieren. Unter dem Strich finde ich es albern, an politische Prozesse harte Erfolgskriterien anzusetzen. Denn dies lässt die Mitstreitenden an einem Punkt glauben, dass ihre aufopferungsvolle politische Arbeit „nicht gelohnt hat“ und in einem Mißerfolg geendet hat - und dann bleiben sie weg. Ich finde es auch in meinem gesamten Leben immer besser, mich nicht mit profilierungsgierigen, karrieristischen und autoritären Leuten zu umgeben. Ich arbeite lieber auf lange Ziele hin. „Erfolg“ sehe ich bei meinen Aktivitäten eher im Kleinen. Zum Beispiel, wenn mich jemand, den ich mal unterrichtet habe, in der S-Bahn treffe und der sagt: „So wie Sie empfohlen haben, war ich alleine beim Sozialgericht mit der und der Sache, und ich habe meine Interessen dort 100 pro durchgesetzt. Vor ihrem Unterricht hatte ich nicht mal selbst die Idee, dass ich zum Sozialgericht gehen könnte. Schon gar nicht hätte ich gewußt, dass ich dort ohne Anwalt klagen kann und damit dann auch noch Erfolg haben könnte.

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