Rechtspopulismus im Spiegel aktueller Studien

Veranstaltungsreihe von Teilhabe e.V.

„Kampf gegen rechts und die soziale Frage“

2.10.16, Lunte

„Rechtspopulismus im Spiegel aktueller Studien“

Joachim Maiworm

 

Zur „Mitte“-Studie der Uni Leipzig

(Oliver Decker/Johannes Kiess/Elmar Brähler (Hg.), Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland, Psychosozial Verlag, Gießen, 2016)

Die in Kooperation mit der Rosa Luxemburg Stiftung, Heinrich Böll Stiftung und Otto Brenner Stiftung (IG Metall) im Juni 2016 vorgestellte Studie vertritt den Anspruch, die Ausbreitung „rechtsextremer Einstellungen“ in der bundesdeutschen Gesellschaft auf Basis einer repräsentativen Umfrage aufzuzeigen. Wegen des Aufstiegs der AfD und der Erfahrung der noch nicht lang zurückliegenden Pegida-Demonstrationen erregte die Studie eine relativ große öffentliche Aufmerksamkeit. Es handelt sich um den bislang letzten Teil einer Langzeitbeobachtung (seit 2002), deren Ergebnisse alle zwei Jahre veröffentlicht werden. Zuletzt waren zwischen Februar und Anfang April dieses Jahres etwa 2.500 Personen deutscher Staatszugehörigkeit befragt worden. Im Mittelpunkt standen Aussagen zu den folgenden sechs Dimensionen, die von den Befragten individuell bewertet wurden, um damit Aufschluss über ihre potenzielle „rechtsextremen Einstellungen“ zu erhalten.

1. Befürwortung einer rechtsextremen Diktatur

2. Chauvinismus

3. Ausländerfeindlichkeit

4. Antisemitismus

5. Sozialdarwinismus

6. Verharmlosung des Nationalsozialismus

Jeder der Dimensionen wurden jeweils drei Aussagen zugeordnet, zu denen die Befragten ihre persönliche Einschätzung abgaben (nach einer fünfstufigen Skala von „stimme voll und ganz zu“ bis „lehne voll und ganz ab“). Daneben wurden Fragebögen zu den Themenkomplexen Autoritarismus, Verschwörungsmentalität und „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ ausgegeben.

 

Wichtige Ergebnisse aus Sicht der AutorInnen der Studie:

 

1. Der Anteil der Menschen mit rechtsextremen Einstellungen ist seit 2014 überraschenderweise nicht gewachsen, sondern sogar leicht rückläufig. Vorurteile gegenüber MigrantInnen als Gesamtgruppe haben abgenommen. Als Grund wird das utilitaristische Denken angeführt, dass auch in traditionell rassistischen Milieus zu finden ist (Facharbeitermangel und demografischer Wandel führen wegen ökonomischer Nutzenorientierung zu begrenzter Akzeptanz von Migration).

2. Die aggressive Abwertung bestimmter Gruppen ist zugleich angestiegen (Muslime, Sinti und Roma, Asylsuchende). Bsp.: „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“ (Zustimmung 2009: 21,4%; 2016: 41,4%). Auch für rigide Maßnahmen gegen Sinti und Roma findet sich eine hohe Zustimmung. 32,1% der WählerInnen der Partei Die Linke und 36,1% der Grünen stimmen der Aussage zu: „Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden.“

3. Die Studie stellt eine zunehmende gesellschaftliche Polarisierung fest. Die Mehrheit der Befragten wendet sich gegen rechtsextremes Denken, lebt in gefestigten demokratischen Milieus und vertraut den demokratischen Institutionen. Zugleich nimmt die Radikalisierung anderer Milieus zu, die Legitimierung und die Bereitschaft zur aktiven Gewalt steigen. Die Herausgeber der Studie leiten daraus den Titel „Die enthemmte Mitte“ ab. Einstellungen werden nunmehr nicht nur geäußert, sondern Ressentiments und völkisch-nationalistische Positionen offensiv und unter Rechtfertigung von Gewalt vertreten. Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen sind rechtsextrem eingestellt. Die „Mitte“ ist insofern nicht (mehr) der „Schutzraum der Demokratie“, sondern setzt ein großes antidemokratisches Potenzial frei.

4. Als Reaktion auf die Zumutungen der Leistungsgesellschaft bzw. des Konkurrenzkampfes, der den kapitalistischen Markt bestimmt, erstarkt der „autoritäre Charakter“ (Identifikation mit dem Aggressor, „autoritäre Unterwürfigkeit“). Bsp.: „Unruhestifter sollten deutlich zu spüren bekommen, dass sie in der Gesellschaft unerwünscht sind“ (26,6% stimmen „überwiegend“, 40,9% „voll und ganz“ zu). Die aggressive Einstellung gegenüber „sozialen Abweichlern“, also z.B. Menschen, die sich den Marktzwängen entziehen wollen, zeigt sich im Zeitverlauf der letzten zehn Jahre als sehr beständig.

5. Die Studie legt auch Ergebnisse zu rechtsextremen Einstellungen in Abhängigkeit vom Erwerbsstatus vor. Demnach können 18,4% der Erwerbstätigen, aber 25,4% der Erwerbslosen als ausländerfeindlich eingestuft werden. 3,5% der Erwerbstätigen neigen einem Sozialdarwinismus zu, jedoch nur 1,5% der Erwerbslosen. Ebenso ist bei „bildungsferneren“ Menschen eine stärker ausgeprägte Ausländerfeindlichkeit festzustellen (Menschen mit Abitur: 8,9%, ohne Abitur: 23,5%).

Aufgrund der quantitativen Relationen basieren die Erfolge rechtsextremer bzw. rechtspopulistischer Sammlungsparteien oder -bewegungen jedoch nicht auf der Zustimmung von „prekär“ lebenden oder erwerbslosen Menschen, sondern in erster Linie auf den Rückhalt von Personen aus der unteren Mittelschicht.

6. Die vielzitierte Abstiegsangst v.a. der unteren Mittelschicht gilt als grundlegender Erklärungsfaktor für antidemokratische und rassistische Einstellungen. Knapp über die Hälfte der Befragten beurteilt die heutige wirtschaftliche Lage in Deutschland als gut oder sehr gut, nur 10% als schlecht oder sehr schlecht. Ähnlich fällt die Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Lage aus. Die ökonomische Zukunftsperspektive wird dagegen sehr düster prognostiziert (nur insgesamt 13,1% glauben, dass ihre eigene wirtschaftliche Situation in einem Jahr gut oder sehr gut sein wird).

 

Anmerkungen:

Nur 7,7% der der Befragten gehen davon aus, dass die allgemeine wirtschaftliche Lage in Deutschland in zwölf Monaten immer noch gut oder sehr gut sein wird (die aktuelle Situation wird im Vergleich dagegen von 51,6% als positiv befunden). Offensichtlich neigt ein gewichtiger Teil der deutschen Bevölkerung zu einer irrationalen Wahrnehmung der Realität und zu panikartigen (Abstiegs)Ängsten, was in der Folge zu gewaltbereiten Aggressionen gegenüber als schwach wahrgenommenen Menschen führt. Von einem Rechtsruck muss − trotz Pegida und AfD − dennoch nicht gesprochen werden. Denn die Studie belegt eine polarisierende Entwicklung, die zugleich von Kontinuität geprägt ist. Als „ausländerfeindlich“ lassen sich im Zeitverlauf seit 2002 fast durchgängig über 20% der Befragten einstufen. Auch SINUS-Studien belegten bereits in den 80er Jahren ein „tradiertes“ rechtsextremes ideologisches Einstellungspotenzial von etwa 15% der Bevölkerung (vgl. Bernd Wagner [Hg.], Handbuch Rechtsextremismus, Reinbek, 1994, S. 16). Die Pogrome seit 1991 zeigen ebenfalls, dass sich das Einstellungsmuster des völkischen Rassismus jederzeit (wenn bestimmte Bedingungen vorliegen) aktivieren lässt. Neu ist, wie die aktuelle Studie nachweist, dass die AfD „wie ein politischer Magnet auf Personen mit rechten Einstellungen“ wirkt. Bislang banden vor allem die Unionsparteien und SPD, aber auch Die Linke, FDP und die Grünen WählerInnen mit rechtsextremen Einstellungen. Die AfD führte zu einer „Entmischung“, so dass diese Personen eine neue politische Heimat gefunden haben und damit sichtbarer geworden sind. Ein schneller Abstieg der AfD, aus welchen Gründen auch immer, ist deshalb nicht zu erwarten. Wahrscheinlicher ist, dass die Partei nicht zuletzt durch die Wahl Trumps zum US-Präsidenten Rückenwind erhält und sich zudem weiter radikalisiert.

 

AutorInnen