Sebastian Friedrich
Will sich das rechte Projekt um die AfD dauerhaft etablieren, ist es nicht
nur darauf angewiesen, Menschen in den Redaktionsstuben, auf den
Straßen, in Thinktanks und in Wirtschaftsverbänden an sich zu
binden. Es benötigt eine soziale Basis. Die zahlreichen
Massenaufläufe auf den Straßen, die Wahlerfolge für die AfD, das
rechte Netz im World Wide Web: All das deutet darauf hin, dass sich
eine rechte Basis formiert, deren politisches Engagement sich nicht
darin erschöpft, bei Wahlen für eine rechte Partei zu stimmen. Doch
wer ist diese rechte Basis, aus welchen gesellschaftlichen Gruppen
setzt sie sich zusammen?
Diese
Frage lässt sich nicht einfach beantworten. So versuchten
verschiedene Studien seit Beginn der Pegida-Demonstrationen
herauszufinden, wer an den Veranstaltungen teilnimmt. Kein leichtes
Unterfangen: Viele der Teilnehmenden verweigerten die Auskunft. Doch
legt man verschiedene Studien übereinander, lässt sich eine Tendenz
erkennen: Bei Pegida laufen vor allem mittelalte Männer aus dem Raum
Dresden mit. Sie sind überdurchschnittlich gebildet und überwiegend
vollerwerbstätig.1
Exakter
sind die zahlreichen Analysen zum Wählerklientel und zur
Anhängerschaft der AfD. Eine Untersuchung der Wählerbasis ist nicht
nur hilfreich, um das rechte Projekt besser zu verstehen. Auch lassen
sich durch Analysen der (potenziellen) sozialen Träger vorsichtige
Prognosen wagen, wohin das rechte Projekt steuert.
Dabei
ist es sinnvoll, nicht nach dem idealtypischen AfD-Wähler zu suchen
und entsprechend sich auf eine bestimmte Wahlmotivation zu stützen.
Die AfD wird weder nur von Arbeiter_innen und Deklassierten noch
ausschließlich von mittleren und oberen Klassen gewählt. Auch sind
weder Rassismus noch Antifeminismus noch Abstiegsängste alleinige Motivation, das Kreuz bei der AfD zu machen.
Die
AfD erweitert ihr Klientel
Die
AfD ist einst angetreten, um das reaktionäre Kleinbürgertum zu
einen. Zu Beginn gab sich die Partei moderat wertkonservativ und
vertrat ein nationalneoliberales Wirtschaftsprogramm. Mit Erfolg:
Wahlanalysen zu den Bundestagswahlen 2013, den Wahlen zum
Europaparlament im Mai 2014 sowie zu den Landtagswahlen in Thüringen,
Sachsen und Brandenburg im Sommer 2014 ergeben, dass genau diese
Klientel angesprochen wurde: männlich, unter 45 Jahre,
(Fach-)Arbeiter oder selbstständig und sich der Mittelschicht
zugehörig fühlend. Der typische AfD-Wähler war zu der Zeit also
eher Gutverdiener und eher vermögend.2
So schnitt die AfD beispielsweise bei den Landtagswahlen in
Brandenburg 2014 vor allem in Gebieten mit »einer höheren
Eigentümerquote« besser ab. In Gebieten »mit vielen SGB
II-Empfängern» war die AfD weniger erfolgreich.3
Es waren also eher nicht die Deklassierten, die sich zur AfD
hingezogen fühlten.
Beim
Vergleich mit den Analysen der fünf Landtagswahlen im Jahr 2016
(Baden-Württemberg, Rheindland-Pfalz, Sachsen-Anhalt,
Mecklenburg-Vorpommern, Berlin) fällt zunächst auf, dass weiterhin
zwei Drittel der AfD-Wähler_innen sind Männer. Auch
gelingt es der AfD nach wie vor, ehemalige Wähler_innen aus Parteien
des gesamten politischen Spektrums anzuziehen. Und wie 2014
findet die AfD bei Menschen ab 60 eher weniger
Zuspruch.
Auch
sind die Prozentpunkte in den neuen Bundesländern immer noch höher
als in den alten. Es wäre allerdings ein Fehler, die AfD deshalb zu
einem Ost-Phänomen zu verklären. Die Wahlerfolge
insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt im Jahr
2016 sind mit über 20 Prozent zwar sehr eindrucksvoll, betrachtet
man aber die absoluten Zahlen, zeigt sich, dass die AfD mitnichten
eine ostdeutsche Regionalpartei ist. In der Summe wählten knapp
820.000 Bürger in den fünf neuen Bundesländern (Sachsen,
Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern)
die AfD .4 Auf nahezu das gleiche Ergebnis kam sie im bevölkerungsreichen
Baden-Württemberg im März 2016: Dort gaben ihr knapp 810.000 Wähler
ihre Stimme.5
Doch
nicht alles ist gleich geblieben bei der Zusammensetzung der
AfD-Wählerschaft – seit 2015 lässt sich in vierfacher Hinsicht
eine Erweiterung feststellen.
Das
beginnt mit dem Bildungsstand: Es sind nicht mehr
überdurchschnittlich viele formal höher Gebildete, die ihr Kreuz
bei der AfD machen, sondern vermehrt Menschen mit mittleren
Schulabschlüssen. Zweitens ist eine Veränderung bei der
Wählerwanderung auszumachen. Zwar kann die AfD
weiterhin Stimmen aus allen politischen Lagern mobilisieren, vor
allem aber hat sich der Anteil der ehemaligen Nichtwähler_innen
deutlich erhöht.
Außerdem
hat sich drittens die Anhängerschaft vergrößert, also die Zahl
derjenigen, die sich bereits an die Partei gebunden haben. Auf Basis
der Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus den Jahren 2014
und 2016 analysierte das Deutsche Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW) das Klientel der AfD. Das Ergebnis:
Die langfristige Parteibindung nimmt zu. Je größer die
Anhängerschaft, desto geringer die Gefahr bei für die Partei
ungünstigen politischen Konjunkturen und Stimmungen in den Umfragen
zu verlieren oder gar an der Sperrklausel zu scheitern. Von
denjenigen, die angaben, sich mit einer Partei verbunden zu fühlen,
waren 2 Prozent der AfD verbunden. 2016 waren es bereits fünf
Prozent.6
Das mag zunächst nicht viel erscheinen, weil die AfD in Umfragen im
Jahr 2016 deutlich über diesem Wert liegt. Allerdings ist die
Zunahme der Anhängerschaft innerhalb der kurzen Zeit bemerkenswert,
zumal sich Parteibindungen prinzipiell relativ langsam herausbilden.
Das DIW weist daneben darauf hin: »Der Anteil der
AfD-Parteibindungen liegt bereits heute über dem, was im SOEP seit
dem Jahr der ersten Erhebung 1984 jemals für die Republikaner, die
DVU und die NPD gemessen wurde und bewegt sich etwa im Bereich des
langjährigen Mittels der FDP.«7
Eine
viel diskutierte Veränderung betrifft viertens das Berufsprofil der
Wähler_innen. Bei allen Wahlen des Jahres 2016 schnitt die AfD
Nachwahlbefragungen zufolge überdurchschnittlich bei Arbeiter_innen
ab. Die Rechtspartei ist mittlerweile zudem deutlich stärker bei
Erwerbslosen als noch zu Anfangszeiten. Auch in dieser Gruppe ist sie
bei den Landtagswahlen des Jahres 2016 meist stärkste Partei
geworden.
Eine
Partei der Arbeiterklasse?
Insbesondere
aufgrund des höheren Zuspruchs bei Erwerbslosen und Arbeiterschaft
hat sich nach dem Comeback der AfD im Herbst 2015 eine Diskussion
darüber entsponnen, ob die AfD jetzt eine Partei der kleinen Leute
sei. So titelte im März 2016 die Welt »AfD wandelt sich von
Professoren- zur Prekaritäts-Partei«.8
Ähnliches diagnostizierte auch die Frankfurter Rundschau:
»Arbeitslose wählen die AfD«.9
Doch
bei genauer Betrachtung relativiert sich der Erfolg der AfD bei
Arbeiter_innen und Erwerbslosen in mehrfacher Hinsicht.
Wie
viele Erwerbslose sich bei Umfragen tatsächlich dazu bekennen,
arbeitslos zu sein, lässt sich nicht sagen. Da Erwerbslosigkeit
häufig mit einem Stigma einhergeht, kann davon ausgegangen werden,
dass ein Teil der Befragten andere Angaben macht.
Aber
auch dann, wenn diese Zahl möglicherweise höher liegt, können
Interpretationen auf der Grundlage von Prozentpunkten in die Irre
führen, wie wieder das Beispiel Baden-Württemberg zeigt: Laut
Infratest Dimap wurde die AfD unter Arbeitslosen mit 32 Prozent
stärkste Partei. Mit großem Abstand folgten CDU und Grüne mit je
20 Prozent. Da aber der Anteil der Erwerbslosen an der Gesamtzahl der
Wahlberechtigten in Baden-Württemberg lediglich drei Prozent
ausmacht, relativiert sich der Erfolg der AfD in absoluten Zahlen
sehr deutlich: Es sind nur gut 7.000 Stimmen.
In
den Analysen wenig Berücksichtigung findet, dass gerade die unteren
Klassen der Gesellschaft in erster Linie gar nicht zur Wahl gehen.
Die Wahlbeteiligung sinkt in Deutschland seit 40 Jahren
kontinuierlich, allerdings nicht in allen Statusgruppen in gleichem
Maße. »Am stärksten sinkt die Wahlbeteiligung bei denjenigen mit
geringer Bildung, niedriger Schichtzugehörigkeit und geringem
Einkommen.«10
Teilt man zum Beispiel alle Nichtwähler bei der Bundestagswahl 2013
in fünf Einkommensgruppen ein, zeigt sich, dass der Anteil der
Nichtwähler im einkommensstärksten Fünftel lediglich sieben
Prozent beträgt, dagegen aber 39 Prozent des untersten Fünftels der
Wahl ferngeblieben sind.11
Auch
die starken Ergebnisse der AfD unter Arbeiter_innen müssen genauer
betrachtet werden. Die Kategorie »Arbeiter« umfasst eine äußerst
heterogene Gruppe. Unterschiede im Bildungsstand, der Ausbildung, der
Position in den jeweiligen Unternehmen sowie die Stellung im
gesellschaftlichen Produktionsprozess verschwimmen.12 Sowohl vergleichsweise gut bezahlte, unbefristet eingestellte
Facharbeiter mit überdurchschnittlichem Einkommen als auch prekär
auf Mindestlohn-Niveau Beschäftigte ohne Ausbildung können
»Arbeiter« sein. Doch welche der verschiedenen Gruppen der
Arbeiterklasse neigt eher zur AfD?
Erfolgreich
ist die AfD vor allem in (ehemaligen) industriell geprägten
Regionen. So holte sie im März 2016 eines von zwei Direktmandaten im
Mannheimer Norden, der bis dahin letzten Bastion der Sozialdemokratie
in Baden-Württemberg. Zeitgleich punktete die AfD in Sachsen-Anhalt
vor allem im einstigen Industriezentrum der DDR. Man kann daraus den
Schluss ziehen, dass es vorrangig Facharbeiter_innen in Handwerk,
Industrie und Verwaltung sind, die sich der AfD zuwenden.13
Dazu
passt die Analyse von Infratest Dimap, wonach es nicht die Ärmsten
der Armen seien, die auf die AfD setzen, sondern Menschen mit
ausgeprägten Abstiegsängsten.14
Damit
ähnelt das Klientel in der Tendenz dem des Front National (FN) in
Frankreich. Der FN präsentiert sich gerne als letzte Partei, die den
Sozialstaat verteidigt und die Interessen der (französischen)
Arbeiter vertritt. Und so wird sie auch wahrgenommen. Doch eine
Ausdifferenzierung verdeutlicht, der FN kann zwar auch bei Ärmeren
punkten, allerdings ist der Anteil der Immobilienbesitzer bei den
FN-Wähler_innen sehr hoch, insbesondere in Einfamilienhaussiedlungen
an den Stadträndern, die als »Welt der Mittelschichten« und der
»sozialen Aufsteiger« gelten.15
Für den Politikwissenschaftler Sebastian Chwala sind es nicht »die
Arbeiter«, sondern eher die aufstiegsorientierten Arbeiter_innen der
mittleren Einkommensschichten, die zum FN tendieren. Insgesamt ist
der typische FN-Wähler »höchstwahrscheinlich nach wie vor
männlich, nicht akademisch gebildet und Arbeiter, Angestellter oder
kleiner Unternehmer«.16
Ein
ähnlicher Trend ist auch bei vielen anderen europäischen
Rechtsparteien zu erkennen, die in den vergangenen Jahren erfolgreich
waren. »Der rechte Populismus ist somit keine Bewegung der Armen,
sondern eine Bewegung der unteren Mittelschicht in wohlhabenden
Gesellschaften.«17
Nach
allem, was die bisherigen Analysen hergeben, trifft genau dies auch
auf die AfD zu. Ihr gelingt es vor allem Selbstständige, kleinere
Unternehmer_innen und eher die ökonomisch besser gestellten Teile
der Arbeiterklasse anzusprechen, bei Erwerbslosen und »Abgehängten«
ist die Resonanz geringer. Sie ist also nicht eine Partei der Armen,
auch wenn es ihr mehr als zu Beginn gelingt, die »kleinen Leute«
anzusprechen.
War
die AfD also zunächst eine rechtskonservative Partei, die vor allem
im konservativen, etablierten Kleinbürgertum bei Freiberufler_innen
und »Familienunternehmen« Gehör fand18,
spricht sie mittlerweile vermehrt höhere Schichten der
Arbeiterklasse und in geringerem Maße auch Deklassierte an − und
kann zunehmend Wähler_innen längerfristig an sich binden. Sie aber
als »Arbeiterpartei« oder »Nichtwählerpartei« zu klassifizieren,
ist nicht belegbar. Die AfD ist − bezogen auf Einkommen,
Bildungsstand und Alter − eher einer Partei der »Mitte«.19
1
Geiges, Lars / Marg, Stine / Walter, Franz (2015): Pegida. Die
schmutzige Seite der Zivilgesellschaft? Bielefeld, S. 65.
2
Friedrich, Sebastian (2015): Der Aufstieg der AfD. Neokonservative
Mobilmachung in Deutschland. Berlin, S. 72-80.
3
Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (2014): Pressemitteilung Nr.
259 vom 15. September.
https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/pms/2014/14-09-15.pdf
[22.12.2014].
4
Sachsen (2014): 159.611 Zweitstimmen, Brandenburg (2014): 120.077,
Thüringen (2014): 99.545 (2014), Sachsen-Anhalt (2016): 272.596,
Mecklenburg-Vorpommern (2016): 167.852; in der Summe also 819.581.
5
Die genaue Stimmenzahl für die AfD-Landesliste in Baden-Württemberg
lautet 809.554.
6
Martin Kroh / Karolina Fetz: Das Profil der AfD-AnhängerInnen hat
sich seit Gründung der Partei deutlich verändert. DIW
Wochenbericht 34/2016, S. 711-719, hier S. 715.
7
Ebd.
8
Welt Online (2016): AfD wandelt sich von Professoren- zur
Prekariats-Partei.
https://www.welt.de/politik/deutschland/article153514296/AfD-wandelt-sic...
[31.10.2016].
9
FR-Online (2016): Arbeitslose wählen die AfD.
http://www.fr-online.de/politik/-alternative-fuer-deutschland---arbeitsl...
[31.10.2016].
10
Schäfer, Armin (2015): Der Verlust politischer Gleichheit. Warum
die sinkende Wahlbeteiligung der Demokratie schadet. Frankfurt am
Main, S. 97.
11
Ebd., S. 98.
12
Bischoff, Joachim / Müller, Bernhard (2016): Rechtspopulismus in
der Berliner Republik. In: Sozialismus Nr. 10/16, S. 16-25, hier S.
23.
13
Storz, Wolfgang (2016): Wer wählt die AfD − und warum? Interview
mit Horst Kahrs. https://oxiblog.de/wer-waehlt-die-afd/ [5.11.2016].
14
Bollmann, Ralph (2016): Alternative für Antikapitalisten.
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/afd-und-das-mis...
[5.11.2016].
15
Chwala, Sebastian (2014): Der FN in Frankreich − auf dem Weg zur
»Neuen Arbeiterpartei«?
http://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de/article/1229.der-fn-in...
[5.11.2016].
16
Chwala, Sebastian (2015): Der Front National. Geschichte, Programm,
Politik und Wähler. Köln, S. 98.
17
Bischoff, Joachim / Müller, Bernhard (2016): Rechtspopulismus in
der Berliner Republik. In: Sozialismus Nr. 10/16, S. 16-25, hier S.
22.
18
Kahrs, Horst (2014): Leistung ist ihr Lieblingswort. In: analyse &
kritik, 14.10.2014, S. 28.
19
Kahrs, Horst (2016): Die Landtagswahlen 2016 − Acht ausgewählte
Aspekte der politischen Verschiebungen.
http://www.horstkahrs.de/wp-content/uploads/2016/09/2016-10-06-Ka-Wahlen...
[2.11.2016].