Geschichte von Sozialprotesten und Protestformen. Vortrag von Anne Seeck
Veranstaltung am 28. Juni 2013, Berlin, Mehringhof, 36 Teilnehmer_innen
Eingangs des Vortrages stellte Anne Seeck die These auf, dass es genug Protestformen gibt, diese erweitern sich beständig. Aber die Erwerbslosenbewegung ist arm an Protestformen; sie könnte von anderen sozialen Bewegungen viel lernen.
Dann stellte sie die Einteilung von Aktionsformen vor, die Joachim Raschke 1985 vorgenommen hatte: die intermediäre Aktion, die demonstrative Aktion und die direkte Aktion. Aus aktuelleren Büchern brachte sie dann Beispiele zur Spaß- und Kommunikationsguerilla und zum kreativen Straßenprotest.
Dann kam sie zu einer Chronologie der Erwerbslosenproteste:von 1982 bis heute. Beispiele waren zum Beispiel zwei Arbeislosenkongresse, die Glücklichen Arbeitslosen, die Hartz IV- Proteste, Zahltage etc.
In einem weiteren Schritt stellte sie eine Analyse des Protestforschers Dieter Rucht vor. Protestgruppen wollen Aufmerksamkeit erzielen, das würden sie über Masse, Radikalität, Kreativität und Prominenz versuchen zu erreichen. Anne Seeck zählte entsprechende Beispiele aus der Erwerbslosenbewegung auf.
Abschließend nahm sie auf das Buch „Direkte Aktion“ von David Graeber Bezug. Sie verglich die derzeitige Erwerbslosenszene mit Occupy Wall Street und ihren anarchistischen Prinzipien. Im Gegensatz zu jener Bewegung ist die Erwerbslosenszene sehr staatsfixiert. Es werden Forderungen an den Staat gestellt, Briefe an Politiker geschrieben usw.
Der gesamte Vortrag in der Trend Onlinezeitung: http://www.trend.infopartisan.net/trd0813/t150813.html
„Neue Widerstandsformen braucht das Land!? – Über die Bedingungen des Scheiterns“ (Vortrag von Wolfgang Ratzel)
1. Die heutigen Widerstandsformen entsprechen nicht mehr der Art und Weise, wie spätmoderne Machtverhältnisse funktionieren. Sie sind auf dem Niveau des späten 20. Jh. stehen geblieben, teilweise sogar im 19. Jahrhundert.
2. Wer unter den Bedingungen des spätmodernen Kapitalismus Widerstand leistet, muss - um eine adäquate Re-Aktion hervorbringen zu können - zuallererst versuchen, die Art und Weise zu analysieren, wie die spätmodernen Machtverhältnisse funktionieren und sich organisieren.
3. Hauptbedingung des Scheiterns: Der linke Widerstand verzichtete und verzichtet mehr als je zuvor auf eine Analyse der spätmodernen Machtverhältnisse und muss deshalb scheitern.
Einen Fokus richtete Wolfgang Ratzel auf Folgendes:
- Die westlich-abendländischen Herrschaftszentren dehnen die Freiheitsrechte ihrer Bürgerschaften und die Möglichkeiten von Meinungsäußerung, Mitbestimmung und Systemkritik in Richtung direkte Demokratie aus und werden sie weiter ausdehnen.
- Gleichzeitig wird jede Person „deaktiviert“ (notfalls durch „Gezieltes Töten“), sofern sie eine „rote Linie“ der Kritik überschreitet.
- Diese „rote Linie“ wird von den Herrschaftszentren entschieden und bezieht sich auf ein bestimmtes Handlungsmuster, das als staatsfeindlich definiert wird. Das kritische Denken und die Meinungsäußerung durch Wort, Schrift, Medien und Versammlungen bleiben also geschützt – aber nur solange sie nicht in eine Handlungsweise umschlagen, die als Gefährdung der Sicherheit und Ausdehnung der Herrschaftszentren gilt. Diese rote Linie ist aber nicht einheitlich definiert, sondern je nach Situation, Ort und Zeit und subjektiver Einschätzung variabel und somit unscharf und uneindeutig.
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Ausführendes Organ der gezielten Deaktivierung (notfalls auch Liquidierung) von einzelnen Handelnden ist der „tiefe Staat“; das ist ein Dispositiv von Grundüberzeugungen, internen Vernetzungen, Sondereinsatzkommandos, Geheimdiensten und geeigneten Waffensystemen („u.a. Drohnen). Dieser „tiefe Staat“ kann als „permanenter Ausnahmezustand auf dem Sprung“ bezeichnet werden. Er funktioniert anonym und verdeckt im Schatten des freiheitlichen Rechtsstaats. Er funktioniert punktuell und situativ und verschwindet spurenlos dorthin, woher er kam, und wo er auf seinen nächsten Einsatz wartet.
Summa summarum
Widerstand ist not-wendend. Wer überleben will, muss Widerstand leisten. Das steht außer Frage.
Beim Nachdenken über die Option „Widerstand“ muß vorab geklärt werden, worum es den Widerständigen eigentlich geht. Geht es nämlich „nur“ um ihr nacktes Überleben bzw. um die Erhaltung seines Status Quo bzw. um Verbesserungen des Status Quo für sich oder sein Milieu oder seine Klasse, dann kann die Orientierung auf Widerstand die adäquate Methode sein, um diese Ziele zu verfolgen.
Der Erfolg kann sich einstellen, wenn der Status Quo kompatibel ist zu den Machterhaltungs- und Machtsteigerungsinteressen der Herrschaftszentren. In Südeuropa ist das im Moment nicht der Fall. Deshalb werden auch gewaltigste (und gewalttätige) Widerstandsbewegungen keinen Erfolg haben.
Aber selbst im Erfolgsfall wird man auf diese Weise niemals über die technisch-kapitalistischen Verhältnisse hinauskommen – man wird die Modernisierung der Macht bewirken. Man sitzt in der Falle der Macht.
Die große Frage lautet:
Wie kann eine Bewegung unter den Bedingungen der spätmodernen Kriegs- und Aufstandsbekämpfungsdoktrin Kill-or-Capture über die technisch-kapitalistischen Verhältnisse hinauskommen? Wie die „Rote Linie“ überschreiten?
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Diskussion
Wegen der vielfachen Infragestellung herkömmlich-linker Sichtweisen gab es eine Vielzahl grundsätzlicher Nachfragen, die teilweise den Charakter von Statements und „Schlagabtauschen“ annahmen. Insbesondere fokussierte die Diskussion auf die neue Kriegs- und Bürgerkriegsdoktrin des „Gezielten Tötens“.
Auch wurde die These der Gleichzeitigkeit von Ausbau rechtsstaatlicher Freiheitsrechte und Deaktivierung jenseits einer vom Staat definierten „roten Linie“ in Frage gestellt – ebenso wie das Bild des „Tiefen Staates“. Die Diskussion blieb in den Grundsatzfragen hängen.
Nach über zwei Stunden geriet die Veranstaltung außer Kontrolle – auch, weil Moderationsfehler hinzutraten. Da kein Ende gesetzt wurde, löste sich die Veranstaltung in quälender Langsamkeit durch Weggehen –teilweise unter Protest- auf.
Der Vortrag in der Trend Onlinezeitung: http://www.trend.infopartisan.net/trd0813/t160813.html
Unterstützt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung